Reizklima

                                                                             BildWerk: Cèsar Olhagaray

 

Sam Zamrik: Apathie

 

Ich starre in den Mittag.
Ich sehe den Kampf in der weiten weißen Scheibe
der Sonne, ihre Strahl um Strahl versprenkte
kosmische Aufspaltung.
 
Sie gibt mir eine Vorstellung
und nimmt sie fort.
 
Vor Bergen
ins Flachland floh
ich, ausländisch, fremd und befördert
zu einem unbilligen Tarif
durch Wälder
und über Meere.
 
Die schwarze Wolke,
gerade noch so unter meiner Haut,
lässt mich nicht atmen.
 
Obgleich zufrieden
mit gottgegebenen Freuden,
bin ich nicht heiter.
Immer weiter 
wende ich mein gottloses,
verkohltes Gesicht ab
von der Liebe und von
all der Wärme
in Fingerreichweite.
 
Dieses Geflecht Gehirn,
zerfranst tagtäglich,
dieses Gestirn aus Fleisch
verdirbt allmählich.
 
deutsch von Sylvia Geist
 
 

                                                                          BildWerk: Charl-Pierre Naudé

 

 

Charl-Pierre Naudé: Zeit für Sprachlosigkeit

 

Jetzt sieht es wie eine Strafe aus,

das geschätzte Miteinander, 
etwas, das man vermeiden sollte. 
 
Sie ist überall,
ich atme sie ein, gehe ein an ihr: Politik.
 
Ich hasse sie,
die Art, wie die Dinge gelaufen sind,
so:
 
der allgemeine Schmuggel von Hammern in Watte; 
ein geheimes Lager voll lärmiger Drehgriffe
 
und Do-it-yourself-Werkzeugen
(eine Größe für alles),
ausgegeben 
an Parteitagen, um hohe Wahrheiten 
zu hissen,
 
das ungeschriebene, abgeschriebene,
verhökerte Wort.
 
Täuschung. 
Betrug. 
Plünderei.
 
Und heute ist wieder einer
dieser berühmten Tage, dieser denkwürdigen
Tage mit ihren schönen, korrumpierten Namen:
Heldentag, Freiheitstag, Tag der Behinderten.
Nationaler Mülltonnen-Aufstell-Tag.
Tag des Präsidialen Misthaufens.
 
Zufällig ist es der Nationale Frauentag.
Dabei ist alles, was ich will, allein sein.
Was für ein Fest!
Wofür sind Frauen da, zu Zeiten?
Die Unantastbarkeit davon. 
Natürlich denke ich an diese edlen Spenderinnen,
aber in Gottes Namen: ohne Worte.
 
Hab ich was von Schicksal gesagt,
in Bezug auf eine bestimmte Frau?
Dann muss es in Gedanken gewesen sein.
 
Ich ging raus auf die Straße, Luftschnappen.
Wind war aufgekommen,
 
und mit beschwingter Freigebigkeit
klebte er mir
ein nasses Blatt 
sanft an die Wange.
Verdammt sei so eine Politik,
nichts als Diplomatie.
 
Was kann ich sagen?
 
Ich kenne ein Haus
unten an der Straße, ganz mit Brettern verrammelt.
Das Geschirr und das Silber hat man 
in dicke Lagen Zeitungspapier gewickelt
und in Kartons versenkt.
Keiner hat das Fettgedruckte gelesen, keinen kümmerte es,
und doch hatte es eine Funktion.
 
Die Möbelpacker arbeiteten schnell,
während die Eigentümer dabei standen.
Dann mussten alle los, schnellschnell. 
Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.
 
Aber eines Tages werden die Erben zurückkommen
zu dieser Hinterlassenschaft, eingeschlagen in verblichene Lügen,
und mit Tränen in den Augen 
 
das Porzellan auswickeln.
 

deutsch von Sylvia Geist

 

 

                                                                                    BildWerk: Sylvia Geist

 

Christine Kappe: Nun ist es die Kunst

 

Ein vernünftiges Deckbett
 
Weil meine Mutter ihre Tabletten durcheinanderbringt, weil alle Tage gleich sind. Weil mein Vater der Dumme war. Und nun sie der Dumme ist. Irgendwer muss ja der Dumme sein. Ein Schüler, der wieder rückfällig geworden ist. Ein Schüler, der im Knast gelandet ist. Ein Schüler in Quarantäne. Ein Schüler in der Medizinischen Hochschule.
In unsere Schule scheint die Sonne. Walter hat ein Konzept geschrieben, das sich eine aus der Chefetage anguckt, beim Frühstück. Und dann kann sie nur bis eins, und muss rauchen. Unser Chef will uns duplizieren. Wir sitzen da mit und ohne Mundschutz, und richten ihm Skype ein. Er braucht ein vernünftiges Deckbett, doch wir wissen nicht, wo wir es hernehmen sollen. Wir wollen alle dauernd schlafen, oder sterben.
 
Geburtstagskarten und Zähne
 
Meine Mutter kann nur noch Geburtstagskarten schreiben. Mein Vater wiegt ohne Zähne die Hälfte. Er hat den Kostenvoranschlag für den Zahnersatz unterschrieben. Doch jemand hat seine Unterschrift eingeklammert und mit einem Fragezeichen versehen. Meine Mutter? Der Arzt? Der Busfahrer? Der dreimal so dick ist und ‘n Tatoo auf dem Arm hat. Eine bös‘ dreinblickende, halbnackte Blondine. Sitzt vorn in seinem Fahrerkäfig. Aus Plexiglas. Winkt allen zu an den Haltestellen. Keiner steigt ein, die trinken da bloß. Am Ende will sie nur noch ein Ziel anfahren. "Bahnhof?" "Bahnhof", einigen wir uns kollegial und geben Gas.
 
Nun ist es die Kunst
 
Ein ziemlich arroganter Vater kommt ziemlich spät, weil er immer neue Verkehrsverbindungen ausprobiert. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Vielzahl der Verbindungen und deren Gefährlichkeit? Jemand bewirft uns mit einer Schnapsflasche am Bismarckbahnhof, nebenan brennt ein Haus, trotz Bekanntgabe der neusten Fallzahlen. Nun ist es die Kunst, mit einem kleinen Bleistift weiterzuschreiben und nicht in Panik zu geraten.
 
 
 

                                                                                    BildWerk: Asuka Grün

 

Mohamad Nassereddine: Rollen, readymade
 
Mir ist danach, den Tag zu beenden,
also klettere ich auf seine Bühne und lasse den Vorhang herunter.
Ich stelle fest, dass der Tag wiedergekehrt ist,

er ging vorbei im Lauf des Tages, der kommen sollte,
also zeichne ich auf das unbeschriebene Blatt
eine Gegenwart, die dem Vergangenen ähnelt.

Ich liebe meine Zeiten, die schon vorbereitet sind
auf mich, der sie auf seinem Stuhl erwartet,
und sie kommen, in voller Blüte.

Warum kommen die Rollen nicht vorbereitet?
Warum ist das Paradies nicht bereit?
Doch, in der Tat, es ist bereit.
 
deutsch von Sylvia Geist